Physik in der Einführungsphase der Oberstufe ist in vielerlei Hinsicht trocken: Eine feuchte Abwechslung kann ein Wasser-Raketen-Projekt bieten. Dabei können Schüler*innen nicht nur selbst Raketen bauen, sondern auch Erklärfilme dazu produzieren. So festigen sie nicht nur ihr Physik-Wissen, sondern erwerben auch Medien- und Projekt-Kompetenzen.
Physik ist eines der unbeliebtesten Fächer – auch weil der Unterricht oft dröge ist. Projektunterricht ist eine Möglichkeit, den Unterricht abwechslungsreicher zu gestalten. Auf dieser Website wurden schon einige Unterrichtsprojekte vorgestellt. Bewährt haben sich zum Beispiel Bau-Projekte, bei denen die Schüler*innen ihr Physik-Wissen handwerklich anwenden und Erklärfilm-Projekte, bei denen sie es in audiovisuellen Medien präsentieren.
Im vergangenen Schuljahr habe ich mit Kollegen ein Unterrichts-Projekt entwickelt, das beide Formate verbinde: ein Bau-Erklärfilm-Projekt. Schüler*innen der Einführungsphase der Oberstufe
- bauen eine Wasser-Rakete
- filmen ihren Flug
- und produzieren einen Erklärfilm, in dem sie die Grundlagen der Mechanik anhand des Fluges der Rakete erklären.
Bei diesem Projekt werden die Kompetenzen der Schüler*innen auf sehr vielfältige Weise gefördert. Die Schüler*innen…
- wenden ihr vorher im Unterricht erarbeitetes Wissen über die Grundlagen der Mechanik beim Bau der Rakete und beim Verfassen des Skriptes für den Erklärfilm an und festigen es so
- werden handwerklich aktiv, was für viele eine willkommene Abwechslung zum kopflastigen Schulalltag bietet.
- werden durch ein Egg-Race-Format zusätzlich motiviert.
- entwickeln oder erweitern ihre Medienkompetenzen bei der Filmproduktion.
- organisieren ihre Arbeit in den Gruppen selbst und erlernen dabei die Projektplanung per digitalem Kanban-Board.
- haben differenzierte Möglichkeiten sich einzubringen, sowohl handwerklich, inhaltlich, persönlich, als auch medial.
- können sich bei der Benotung und Evaluation einbringen, indem sie die Einzelleistungen in Gruppenarbeiten bewerten.
Die einzelnen Aspekte und die zugrunde liegenden didaktischen Überlegungen möchte ich im Folgenden darstellen. Die Überlegungen und Ideen lassen sich auf andere Projekte übertragen. Dazugehörige Materialien stelle ich als Download zur Verfügung.
Inhaltliche Einbindung des Projektes in den Physik-Unterricht
In der Einführungsphase werden in NRW in Physik die Basics der Newtonschen Mechanik erarbeitet. Dabei stehen die mathematischen Kompetenzen wie der Umgang mit Formeln im Mittelpunkt: Die Schüler*innen lernen Bewegungsgleichungen, die Newton’schen Gesetze oder Energie- und Impulsbilanzen kennen und rechnen damit.
Wichtig ist aber auch, die abstrakten Konzepte der Mechanik auch wirklich zu verstehen. Häufig erklären die Schüler*innen Phänomene aus ihrer Lebenswelt noch mit Hilfe ihres Vorwissens. Um diese oft oberflächlichen und fehlerhaften Vorstellungen durch fachwissenschaftliche Konzepte zu ersetzen, ist es lernpsychologisch sinnvoll, möglichst mehrere Anwendungsschleifen zu durchlaufen: Dabei wenden die Schüler*innen die Theorien immer wieder auf konkrete Beispiele an, um die fehlerhaften Alltagskonzepte durch Fachwissen zu ersetzen. Im Laufe des Schuljahres lernen die Schüler*innen auch, wie Größen wie Beschleunigung, Kraft, Energie oder Impuls zusammenhängen und entwickeln so ein möglichst vernetztes Wissen.
Denkbar ist die Produktion von Erklärfilmen ja auch zur selbständigen Erarbeitung von Themen. Gerade bei komplexen Theorien ist das aber oft eine Überforderung. Erfolgversprechender ist erfahrungsgemäß das im Unterricht erarbeitete Wissen noch einmal zu wiederholen, anzuwenden, strukturieren und zu vernetzen. Eine vergleichbare Funktion hat die Erklärfilm-Produktion im Projekt zum Ohm’schen Gesetz für Klasse 9.
Wichtig ist dabei, Vorgaben zu den geforderten Inhalten zu machen. Dabei verwende ich in der Regel eine Übersicht über das vorher erworbene Theorie-Wissen, dass die Schüler*innen mindestens anwenden müssen. Das erleichtert nicht zuletzt auch die abschließende inhaltliche Bewertung des Filmes.
Download: Inhaltliche Vorgaben für das Raketen-Projekt
Lernen durch Bauen
Für ein möglichst nachhaltiges Lernen ist es in Physik sinnvoll, Beispiele aus der Lebenswelt der Schüler*innen zu wählen. Eine Alternative dazu ist es, die Schüler*innen ihr Wissen praktisch anwenden zu lassen. Dies gelingt in Physik durch Bau-Projekte wie den elektrifizierten Schuhkarton.
Die Erfahrung ist: Die handlungsorientierten Aufgaben sorgen nicht nur für Motivation und Spaß am Lernen, sie tragen auch dazu bei, dass die Schüler*innen die fachlichen Inhalte länger und besser behalten. Zudem erwerben die Schüler*innen auch grundlegende handwerkliche Kompetenzen, die für ihr weiteres Leben sicherlich nützlich sein werden.
Ein für die Mechanik passendes und vielfach erprobtes Projekt ist der Bau von Wasserraketen. Die sind aus günstigen Materialien leicht zu produzieren. Im Internet finden sich zahlreiche Anleitungen – sowohl für die Raketen selbst als auch für die Startrampen. Insofern müssen die Lehrkräfte wenig bis kein Know-How oder Material vorhalten, sondern können die Konstruktion den Schüler*innen überlassen. Es hat sich dabei als wichtig erwiesen, dass der Bau ausschließlich in der Schule und nicht zu Hause statt findet. Sonst kommt es immer wieder vor, dass handwerklich ambitionierte Eltern mit einer gut sortierten Werkstatt den Bau übernehmen.
Motivation durch Egg-Race
Manche Bau-Projekte wie das Raketen-Projekt bieten die Möglichkeit, die Motivation durch ein sogenanntes Egg-Race zu steigern. Das Grundprinzip dieser Unterrichts-Methode ist, dass alle Schüler*innen die gleiche Aufgabe bekommen und in einen Wettkampf um die beste Lösung treten. Im Fall der Rakete geht es darum, eine Rakete zu bauen, die eine möglichst große Flughöhe erreicht.
Erfahrungsgemäß steigert ein solcher Wettbewerb bei manchen Schüler*innen das Engagement. Das Ergebnis des Wettbewerbes sollte dabei auch in die Bewertung mit einbezogen werden. Allerdings ist es wichtig zu beachten, dass es in keinem Fall das einzige Kriterium sein sollte. Mehr zur Bewertung unten.
Medienkompetenzen durch Filmproduktion
Die fachlich größte Herausforderung ist für die Schüler*innen die inhaltliche Erstellung des Filmes. Die Schüler müssen das theoretische Wissen auf den Flug der Rakete anwenden. Dies ist für viele Schüler*innen eine große Herausforderung – auch weil sie dabei den Stoff von mehreren Monaten aufarbeiten müssen. Umso wichtiger ist es, den Schüler*innen Hilfe bei der Strukturierung ihres Arbeitsprozesses zu geben. Dazu habe ich folgende Workflow-Grafik erstellt, die sich im Prinzip auf alle Erklärfilm-Projekte anwenden lässt.
Als hilfreiche Grundlage für die Erklärfilm-Produktion dienen Storyboards. Sie sind eine Art visuelles Drehbuch, in denen die Schüler*innen nicht nur den Inhalt, sondern mit kleinen Skizzen auch die eingeblendeten Bilder planen. Sie sind zudem eine gute Grundlage für einen Boxen-Stopp bei der Lehrkraft, bei der die Gruppe ein erstes Feedback erhalten. Das Storyboard kann zudem als Grundlage für eine Arbeitsteilung innerhalb der Gruppe dienen.
Download: Schüler-Handout zur Filmproduktion
Das Handout bietet grundlegende Hinweise zu den weiteren Schritten der Filmproduktion. Diese dient nicht zuletzt dazu, die Medienkompetenzen der Schüler*innen zu fördern. Das ist schließlich Aufgabe aller Fächer. Ein zentraler Bestandteil im neuen Medienkompetenzrahmen des Landes NRW ist dabei der Kompetenzbereich 4, Produzieren und Präsentieren. Die darin formulierten Kompetenzen lassen sich durch die eigenständige Produktion von Erklärvideos schulen.
Es hängt dabei sehr stark von der Schule und den einzelnen Schüler*innen ab, wie viel Hilfestellung sie bei der Film-Produktion brauchen. Erfahrungsgemäß gibt es aber auch an Schulen ohne tragfähiges Medienkonzept in der Jahrgangsstufe 10 in jedem Kurs einige Schüler*innen, die über die handwerklichen Fähigkeiten verfügen. Und auch die Hardware ist dank der Smartphones im Schülerbesitz verfügbar. Mehr Informationen zur Produktion von Erklärvideos im Unterricht bieten zum Beispiel die gleichnamige Broschüre von Film und Schule NRW, oder Tutorials von erfahrenen Lehrern wie Marek Müller und Thomas Schmidt. Eine einfach zu bedienende und zumindest derzeit kostenlose technische Grundlage bietet Adobe Spark Video, dass sich sowohl als App als auch im Browser von Computern nutzen lässt. Ein Tutorial und Hinweise zum Einsatz der Software im Untericht liefert zum Beispiel Kristina Wahl in ihrem Blog.
Projektplanung per Padlet-Kanban-Board
Die Arbeit in Projektgruppen fällt nicht allen Schüler*innen leicht. Sie teilen sich die Zeit schlecht ein, sie teilen die Arbeit nicht sinnvoll auf. Das beste Mittel dies zu verhindern ist eine gute Projektplanung.
Einen einfachen Einstieg in die Projektplanung bieten sogenannte Kanban-Boards. Die Schüler*innen teilen dabei die Arbeit in einzelne Arbeitspakete auf. Diese können sie dann terminieren und einzelnen Gruppenmitgliedern zuordnen. Die Aufgaben heften sie dann in die Spalte „To Do“ einer einfachen Tabelle an einer Pinnwand. Arbeitspakete die in Arbeit sind, verschieben sie in die Spalte „Doing“. Was erledigt ist, landet dann in „Done“.

Eine einfach Kanban-Tafel Bild: Jeff.lasovski; Lizenz: CC BY-SA 3.0
Eine einfache Möglichkeit ein Kanban-Board digital zu realisieren bietet Padlet. Übernommen habe ich die Idee von dem Kollegen Thorsten Puderbach. Komplexere Möglichkeiten bietet Trello. Beide Lösungen haben gemeinsam, dass alle Schüler*innen jederzeit in der Schule und zu Hause auf das Board zugreifen und Aufgaben verschieben können.
Die digitalen Kanban-Tafeln bieten aber auch für die Lehrkräfte die Möglichkeit, die fortlaufende Projektplanung der Schüler*innen durchgehend im Blick zu halten. Geht es dabei bei Gruppen nicht voran, ist das ein guter Gesprächsanlass. Sinnvoll ist es zudem, mit jeder Gruppe verpflichtende Meilenstein-Meetings abzuhalten – zum Beispiel nach Fertigstellung des Storyboards oder nach Ablauf der Hälfte der Arbeitszeit. Dabei können die Gruppen mit dem Lehrkräften auf Basis des aktuellen Standes des Kanban-Boards den bisherigen Verlauf reflektieren und die weiteren Schritte planen.
Die Kanban-Tafeln sind zudem eine gute Grundlage für die Bewertung der Projektplanung. Für letzteres ist es sinnvoll, wenn die Lehrkraft ab und an Screenshots des Kanban-Boards anfertigt. Dies ist mit Padlet per Export einer Bilddatei jederzeit unkompliziert möglich. So lässt sich auch im Nachhinein bei der Bewertung die fortlaufende Planung nachvollziehen.
Download: Schüler-Handout mit Projekt-Planungs-Know-How
Differenzierung: handwerklich, inhaltlich, persönlich, medial
In der Natur eines Egg-Races liegt, dass es klare Vorgaben für das Produkt gibt, die alle erfüllen müssen. So müssen die Schüler*innen alle eine Wasser-Rakete aus Plastikflaschen bauen. Auch gibt es klare inhaltliche Vorgaben für den Film.
Projekte bieten aber immer auch die Möglichkeit zur Differenzierung. Während sich einige Schüler*innen über die Abwechslung durch handwerkliche Tätigkeit freuen, gibt es in jedem Kurs auch Menschen, die sich gerne tiefer in die Theorie arbeiten wollen. Beispielsweise können sie sich im Rahmen des Projektes auch noch genauer mit Flugphysik oder der Funktionsweise von realen Raketen beschäftigen. Insofern hier sehr unterschiedliche Talente gefragt sind, eignen sich solche Projekte auch gut für inklusive Klassen.
Auch bei der Filmproduktion lassen sich je nach Bedarf unterschiedliche Freiheitsgrade ermöglichen. So kann man das Erklärfilm-Format vorgeben (Möglichkeiten sind etwa die Legetrick-Technik, Digital Photo Story, Vlogging…) oder auch freigeben. Das gleiche gilt für die Produktionsmittel wie Kamera, Schnittsoftware und so weiter. Bewährt hat sich hier, eine Alternative vorzuschlagen und diese auch mit Hilfs-Materialien zu begleiten, fortgeschrittenen Schüler*innen aber auch eigene Wege zu ermöglichen.
Projekt-Bewertung durch Lehrkräfte und Schüler*innen
Die Bewertung bei dem Projekt ist relativ komplex. Es gilt schließlich die vielfältigen Leistungen zu berücksichtigen: die Rakete, die fachliche und die handwerkliche Qualität des Films, die Projektplanung. Es lohnt sich hier einen vollständigen Erwartungshorizont zu erstellen, der die Bewertung transparent macht.
Download: Erwartungshorizont für das Raketen-Film-Projekt
Ein Dilemma bei der Bewertung von Projekten ist oft, dass die Einzelleistungen der Schüler*innen nur schwer nachvollziehbar sind. Eine Bewertung der Gruppenleistung führt dann oft zu großer Unzufriedenheit in Gruppen, in denen die Arbeit unterschiedlich verteilt war.
Ein möglicher Ausweg aus diesem Dilemma ist eine Auswertung der Einzelleistungen über das Kanban-Board. Hier kann der Lehrer im Prinzip ja nachvollziehen, wer was gemacht hat. In der Praxis ist das allerdings sehr zeitaufwändig. Zudem führen nicht alle Gruppen ihre Kanban-Board ausreichend detailliert.
Eine deutlich einfachere Methode ist, die Schülergruppen in die Bewertung mit einzubeziehen und die Einzelleistungen selbst zu bewerten. Folgendes Verfahren hat sich in meiner Praxis sehr bewährt.
- Die Schüler*innen einigen sich, wie viele Punkte sie welchen Arbeitsschritten zuordnen – dabei können sie berücksichtigen, welche Teile besonders aufwändig waren.
- Die Schüler*innen bewerten zunächst in Einzelarbeit die Beiträge der Team-Mitglieder, indem sie die Punkte auf alle Gruppenmitglieder verteilen.
- Die Teams diskutieren ihre Einzel-Ergebnisse und einigen sich auf eine Punkte-Verteilung innerhalb der Gruppe.
- Die Lehrkraft bewertet mit Hilfe des Erwartungshorizontes das Produkt.
- Die Lehrkraft errechnet auf der Basis der Punkteverteilung für jedes Gruppen-Mitglied einen Bewertungsfaktor.
- Die Lehrkraft verrechnet für jedes Gruppenmitglied den Bewertungsfaktor mit der Punktzahl der Gruppe und kann so jedem Team-Mitglied eine individuelle Note geben,
Das Verfahren erscheint auf den ersten Blick womöglich kompliziert, ist in der Praxis aber nicht sonderlich aufwändig. Vor allem führt es erfahrungsgemäß zu einer sehr großen Akzeptanz der Bewertung innerhalb der Gruppen.
Ein Rechenbeispiel
Die Vierer-Gruppe hat die insgesamt 100 Punkte folgendermaßen aufgeteilt:
In einer Vierer-Gruppe ist der normale Punkte-Anteil 25 Punkte. Hätten die Gruppe die Punkte gleich verteilt, würden alle Schüler die Note bekommen, die sich aus der Bewertung des Lehrers ergibt. Nun wird aber die Wertung des Lehrers für das Projekt mit der Selbstbewertung der Schüler*innen verrechnet.
Mark hat 37 Punkte von seiner Gruppe bekommen. Es ergibt sich ein Umrechnungsfaktor von 37 / 25 = 1,48. Moritz hat nur 20 Punkte bekommen: Für ihn ergibt sich ein Faktor von 20 / 25 = 0,8.
Dieser Faktor wird dann mit der Punktzahl für das Gesamtprojekt verrechnet. Hat die Gruppe also 60 von 100 Punkten erreicht ergeben sich für Mark dann 60 * 1,2 = 88,8 Punkte. Für Moritz ergeben sich 80 * 0,8 = 48 Punkte. Mark erhält auf dieser Basis trotz des befriedigenden Projektes eine sehr gute Bewertung, Moritz erreicht hingegen nur eine ausreichende Bewertung.
Damit die Schüler*innen ehrlich urteilen, ist es erfahrungsgemäß wichtig, dass sie zum Zeitpunkt der Verteilung die Bewertung des Lehrkraft noch nicht kennen. Ansonsten versuchen einige, die Punkte innerhalb der Gruppe so zu verteilen, dass sie ein möglichst optimales Notenergebnis erzielen.